Kein guter Tag für Bananenfisch *)
Ich ging mal wieder ins Kino, dieses neue hier, wo man sogar unter 12 Filmen auswählen muss.
An sich bin ich ein Cineast, also ein Film-Fanatiker, wenn man so will. Die Atmosphäre dort ist schon
einzigartig, es gehört alles irgendwie dazu, auch die peinliche Kippenwerbung, dort wo man nicht rauchen darf.
Ganz schön gemein irgendwie. Aber Cola und Popcorn muss schon sein. Und dann diese Leute, oh Mann, also die
anderen Zuschauer meine ich, die immer an anderen Stellen lachen als ich.
Einmal war ich, glaube ich, der Einzige von 200 Leuten, der eine Anspielung des Drehbuchautors
verstand.
Dann lachen die anderen, weil ich lache, nicht wegen des Films. Das ist dann schon irgendwie komisch. Da ist man nun gebildet und die
Leute lachen. Man darf nicht zu viel wissen, das ist ja manchmal gar nicht so gut. Man ist besser ein einfacher Mensch. Intellekt wird
allgemein überbewertet. Andererseits entgehen den anderen auch wieder bestimmte Feinheiten, aber das merken die ja nicht, die
wundern sich nur, warum ich lache.
Einmal war ich auch der Einzige in irgendeiner Vorführung.
Am Anfang war da noch so ein Pärchen weiter vorne, aber die gingen
dann. Endlich konnte ich rauchen, und laut lachen. An sich kann ich
ja zu Hause bleiben und Video gucken, aber das ist doch etwas
anderes. Ich meine nicht unbedingt wegen des Popcorns, eher wegen der
Bildschirmgröße, und überhaupt.
Im Kino setze ich mich dann eher an den Rand etwa in der Mitte der
Sitzreihen, wenn’s voll ist. So dass ich mal raus kann, wenn es
dann sein muss. Oder überhaupt ... Man weiß ja nie. Ich
achte meist darauf, dass keiner direkt hinter oder vor mir ist, das
kann ich nicht ab. Popcorn links, Cola rechts auf dem Boden.
Der Film war ganz lustig.
Also mit dieser Frau, die immer 50 fahren muss, weil sie sonst explodiert. **)
An manchen Stellen aber sieht man, dass sie nicht 50 fährt, das war schlecht gemacht, na ja sonst ok.
Ich ging aber nicht in den Film mit dem Bus, sondern in einen anderen neueren mit derselben Frau. Sie spielt eine unansehnliche Polizistin,
die sich nachher als hübsche Frau entpuppt. ***)
Allerdings wusste man schon etwa 10 Minuten vor Ende des Films, wie er ausgehen würde.
Als er schließlich wie geahnt und geplant endete, konnte ich endlich aufs Klo und nach Hause,
da hatte ich noch das aufgezeichnete Video von so einem amerikanischen Regisseur. Es handelte von einem
Jungen, der als großer geistiger Lehrer wiedergeboren wurde, oder andersrum. ****)
-2-
Vor dem Einschlafen ließen mich die Gedanken nicht los:
Man redet ja viel von Reinkarnation, also Wiederfleischwerdung nach dem Tode. Das Merkwürdige ist,
dass kaum einer etwas Genaues darüber weiß. Nicht einmal Shirley McLaine.
Aber die angeblich besser Informierten wissen plötzlich, dass sie im früheren Leben Anne Frank oder
Cleopatra waren. Hitler war noch keiner gewesen, verständlicherweise. Oder derjenige, der es
früher war, hält lieber den Mund, weil er oder sie schlau ist. Also ich war´s nicht, ich schwöre es!
An sich könnte ich schon Hitler gewesen sein, so vom Zeitrahmen her würde es ungefähr passen. Da wären 12 Jahre Tod
dazwischen gewesen, so zum Seele-baumeln-lassen oder Bedauern oder Bereuen.
Aber gefühlsmäßig würd ich sagen, eher nicht.
Man soll auch die Geschlechtszugehörigkeit wechseln ab und zu, oder jedes Mal, je nachdem.
Alternativ könnte ich noch Eva Braun gewesen sein. Ist aber unwahrscheinlich, die ist jetzt, glaube ich, Strichjunge in Berlin.
Und Anne ist in Schweden, sagt sie jedenfalls.
Die Inder meinen ja, man würde als Kuh wiedergeboren, deswegen essen die auch keine toten Kühe, ist ja klar. Wer würde schon
sich selber vertilgen.
Deswegen auch das Verkehrschaos da immer.
Ich weiß nicht, wie die gerade auf Kühe kommen?
Was geschieht aber den Kühen nach deren Tod?
Werden das wieder Inder? Wobei sich jetzt meiner Kenntnis entzieht, ob es mehr Inder oder Kühe gibt ...
Das schwankt wohl. Sicher gibt es da ne Art Pufferzone im Zwischenlebenbereich. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass diese ganzen Theorien nicht zu Ende gedacht waren, es gab wohl andere Kriterien als Logik in diesem Bereich.
Also ich sehe das eher als Mathematiker.
Viel
wichtiger war ja die Frage nach der Zukunft, also wenn es denn nun
Wiedergeburt gibt, als wer oder was kommt man dann denn wieder? Und
wer entscheidet das?
Der-Oder-Das-Was-Uns-Gebären-Lässt,
im folgenden zur Einfachheit „DUGL“ genannt, scheint nicht unser aller Freund zu sein.
Es ist nicht unser Papa, der seinen Samen in die Mama tut, das könnte ja auch eine Spritze genauso gut tun,
nein, sagen wir mal, es wäre eine Art Kraft.
Diese Kraft oder DUGL existiert außerhalb uns selbst, und in irgendeiner Art unerfindlicher Weisheit stößt, drückt
oder zerrt sie uns in diese Art merkwürdiger endlicher Existenz.
Vorher hat – so mag man denken – eine Art Entscheidungsprozess
stattgefunden, wo man als Mensch aber nicht viel mitzureden hatte.
Konnte man also das, was man als nächstes werden wollte,
irgendwie beeinflussen? Gab es einen Aufstieg unter DUGLs Anleitung?
So quasi vom gescheiterten Penner über einfacher Arbeiter,
Politiker, Prostituierte, Truckfahrer, Künstler zur Prinzessin
oder so was? Oder gab es ein Nachsitzen und Zurückgestuftwerden?
Was geschah z.B. mit früh an Krebs verstorbenen Kindern?
Gab es einen Abschluss dieser Art Stufen, ein Ziel? Fragen über
Fragen, aber wen sollte ich schon fragen?
Es gab letztlich nur eine Möglichkeit, Gewissheit zu erlangen.
-3-
Ich fuhr am nächsten Tag mit der Linie 3 in die Innenstadt, um mich umzusehen. Das entspannt manchmal schon etwas
All diese schönen Menschen!
Ihr größtes Problem war wohl ihr Handy und ihr Make-up. Oder wer wohl grade mit wem ging.
Sie hatten an sich gar keine Probleme.
Mir war nicht so gut, da war etwas Komisches in meinem Magen.
Ich fuhr also zurück, nur fünf Haltestellen. Die Kinder lärmten. Ich war gereizt und schrie fast:
„Hört auf!“
Das tue ich sonst nie. Und der Papa der Kinder reagierte mit Kopfschütteln.
Das hätten wir uns früher nicht erlaubt, er hätte uns verprügelt.
Komisch sind die Menschen. Ich hatte wohl auch Pech gehabt damals. Nicht nur damals. An sich immer.
-4-
Ich stieg früher aus als normalerweise. Ich ging rüber zum Studentenwohnheim.
Ich fuhr in den 14. Stock. Dort war die Brüstung relativ niedrig, da war ich schon oft gewesen.
Ich legte alle meine Kleider ab, es war ein sehr warmer Tag.
Papiere hatte ich nicht dabei.
Ich nahm allen Mut zusammen, nahm Anlauf und sprang.
-5-
Weiter oben am Berg stand Manuela, die ich so über alles liebte, und sie mich auch.
Wir verstanden uns auf Anhieb. So weit sie auch weg war, ich erkannte sie unter Hunderten wieder.
Es war so schön hier, man konnte über das ganze Tal sehen bis zum See.
Ich nahm etwas Gras zu mir und fühlte mich fantastisch. Nie wieder wollte ich etwas anderes sein.
Ich war so froh, dass ich den Mund weit aufriss und tief Luft holte.
Es entsprang aus meinem Innersten das schönste Mantra, das es gab:
„Muuuuuh“
Ende
Für Catrin
Copyright Jürgen Behrndt 2002-2010
*) Nach Jerome D. Salinger. Gest. 28.1.2010
Eine Hommage auf „Ein schöner Tag für Bananenfisch“ aus „9 Erzählungen“
**) „Speed“ mit Sandra Bullock und Keanu Reeves
***)„Miss Undercover“
****)„Little Buddha“