Die Erfinder.

- Prolog-

Unter Martins Besitztümern fand man jede Menge Videotapes.

Ziemlich oben liegend, so als wenn er es kuerzlich gesehen hätte, fand man "Und täglich grüßt das Murmeltier". Darin muss der Held einen einzigen Tag immer und immer wieder durchleben, bis es ihm gelingt, seinen Aufrag zu erfüllen, ein Auftrag aber, der ihm nie direkt erteilt wurde.

Ein Auftrag, den er selbst herausfinden musste. Der Held in "Groundhog Day", so der englische Titel des Films, hat es nach wohl einigen hundert Wiederholungen geschafft.

Und Martin?

-Kapitel 1

Martin liebte diese Filme, die damit anfingen, daß irgendein Zeitungsjunge die zusammengerollte Tagespresse entweder gegen die Haustür oder aber auf die Veranda, mit Vorliebe jedoch in den laufenden Rasensprenger einer amerikanischen Vorstadtidylle warf..

In Deutschland wäre das schwerlich möglich gewesen, nicht mangels wurfwilliger oder-fähiger Botenjungen, wohl eher weil der allgemeine Standard der Zeitungsauslieferung hier aus historischen Gründen eine Idee höher lag. Meist gingen diese Art Filme dann mit Angebranntem ausspuckenden Toastern neben zahnebürstenden Teenagern und rasierschaumschiebenden und bald karrieremachenden Ehemännern innerhalb besagter Vorstadtvilla weiter. Diese Szenen war unterlegt von einer Musik, die man sonst nur beim Einkaufbummel bei Spar oder in einer Mall zu hören bekam. Dabei war nie ganz klar, ob diese Musik Filmuntermalung war oder tatsächlich morgens in solcherart Heimen abgespielt wurde.

Dies einführende Szenerie war offensichtlich ein versteckter Hinweis darauf, wie das Leben in Allgemeinen zu sein hat, oder nun mal war!

Es ist völlig klar, was nun als nächstes geschehen wird, alswohl man es immer wieder gerne sieht:

Der gerade nur notdürftig von seinem Rasierschaum befreite Familienvorstand küßte seine noch nicht vollständig mit Lockenwicklern bewaffnete Gattin, und schmeißt sich hastig aber ohne rechtes Engagement in seinen Vorstadt-Chevi, um seiner lebenswichtigen Tätigkeit als Versicherungsmakler nachzugehen. Irgendwer mußte schließlich die Zahnpasta, Lockenwickler und den Rasierschaum ranschaffen.

In den optimistischeren dieser Filme kam der Protagonist dann auch ohne wesentliche Verspätung und ohne von Polizeikontrollen, Gangstern, oder Zeitreisenden aufgehalten zu werden an seinem Arbeitsplatz an. In den neueren realistischen Streifen tauchte dann schon mal ein UFO, einen hilflose von Vergewaltigern bedrohte Frau, ein verstoßenes Waisenkind, oder gar eine minderjährige Prostituierte auf, deren Erscheinen das Leben des an sich unbescholtenen Familienversorgers aus der Bahn warf. In den ganz dunklen Episoden des angelsächsischen Films mutiert dann der nur vermeintlich harmlose Papa schon vor der ersten Autobahnabfahrt in einen serienmordende Bestie mit Vorliebe für minderjährige Prostituierte und Zeitungsjungen.

- Kapitel 2-

Es begann alles an einem wunderschönen Herbsttag in einem sehr deutschen Vorort einer sehr deutschen Stadt nach der Wiedervereinigung. Diese Jahreszeit war die schönste nicht nur in diesem Jahr gewesen, in dem es keinen Sommer in dem Sinne, den die Werbung verheißt, gegeben hatte. Die gegen 5 schon tiefstehende Sonne blendete den Spaziergänger auf angenehme Weise. Martin war gerade in einer Kirche gewesen, einer richtigen alten mit Gewölben, Kirchturm und allen Schikanen, die neuerdings ziemlich offen waren für nicht konfessionell gebundene Passanten. Ja, man fragte an der Pforte nicht nach der Reilgionszugehörigkeit und mußte nicht mal niederknieen.

Er konnte sogar das auf dem Altar offenliegende Gesangbuch berühren und umblättern, ohne von empörten Priestern oder Müttern zurückgepfiffen zu werden.

War dies alles ein Zeichen einer neuen Offenheit, oder Mitgliederwerbung der konventionellen Kirchen? Er war allerdings auch sehr lange in keiner Kirche mehr gewesen. Martin hielt sich auch nicht lange in dem irgenwie düsteren Gemäuer auf.

In solcherlei religiöse und andere Gedanken versunken wandelte Martin weiter durch die Herbstsonne ohne rechtes Ziel, was ja auch bei einem Sonntagsspaziergang Gott sei Dank nicht nötig ist.

Überhaupt Gott!

Schon stellte Martin sich ab und an die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Kram. Wer hatte diese Gott Sache eigentlich erfunden?

Wer war wohl als erstes auf die Idee gekommen, solche spitztürmigen Gebäude zu errichten, und darin zu singen und zu beten? Ob es die Steinzeitmenschen waren, die um Verschonung von Leoparden und Hagelstürmen baten? Wußten sie vielleicht nur nicht an wen sie sich sonst wenden sollten? Das wußte man an sich ja bis heute noch nicht, und versammelte sich immer wieder in den Kirchen jeglicher Bauart, um Verschonung von Leid diverser Manifestation zu erbitten. Oder was geschah sonst in diesen Gottesdiensten?

Die Leoparden und Hagelstürmen waren ja seltener geworden, dafür nahmen Gerichtsvollzieher, Polizisten und Geschlechtskrankheiten wieder Überhand. Auch sterben mußten alle mal, ohne sich je recht mit diesem Fakt abzufinden, außer wenn es sich um eine reiche ungeliebte Erbtante handelte. Oder, was immer moderener wurde, versuchte man sich damit zu trösten, daß man in der einen oder anderen Form wieder zurückkommen würde, um sich an all den bösen Mitmenschen unerkannt zu rächen oder selbst Gerichtsvollzieher zu werden. Irgendwie ergab diese Gott Sache aber keinen Sinn.

Denn wenn diese ganze vermutlich wiederholt auftretende Abfolge von Kind sein und Kinder kriegen mal von jemand oder mehreren ins Leben gerufen worden war, dann wozu?

Sollte alles ein Geschenk zur allgemeinen Erbauung sein?

Dagegen sprache aber eindeutig die Statistiken von

1) Leid und Hunger verglichen mit

2) Reichtum und Glück bis ins hohe Alter.

Das Verhältnis war so ungünstig zu ersterem hin verschoben, daß der ERFINDER wohl eine Menge Ausschuß mit einkalkuliert hatte. Oder daß er, wie manche argwöhnten, sowieso vollkommen inkompetent, wenn nicht sogar unberechenbar gewesen war. Aber das schien die Menschen nicht zu beirren. Anstatt mit Heugabeln oder Atomgranaten nach ihm zu werfen, beteten sie zu ERF, daß er sie endlich in Gruppe 2 der Glücklichen aufnahm.

Wenn nicht sofort, dann doch wenigstens bei der nächsten Wiederkehr.

Allerlei war dazu ersonnen worden. Der Kaffesatz und die Sterne wurden genauso inbrünstig befragt, wie die Akasha Chronik und der Koran. Manchmal erfolgte auch eine Antwort, worauf der so gesegnete Heilig gesprochen wurde, oder es kurzum selber tat.

Viele dieser Propheten waren gekommen und grötenteils wieder verschwunden meist nach massiver Androhung von Schlägen.

Die Zahl derer, die einfach über all das nicht mehr nachdachten, und nur daran arbeiteten von Gruppe 1 in Gruppe 2 zu kommen, nahm zu.

Es gab viele Hypothesen, auch Religionen genannt, die sich mit der waren Absicht oder Kompetenz von ERF befassten. Eine sagte es gäbe 2 ERFs wobei der Zweite dem Ersten beim Erfinden ins Handwerk gepfuscht hatte, und das Resultat hätten wir nun vor uns.

Der Erste hätte dies aber noch nicht bemerkt oder schlief oder schmollte noch.

Dann waren Gebete in Spitzturmgebäuden wohl ein Versuch in aufzuwecken? Dann waren sie bis jetzt wohl noch nicht laut genug gewesen. Man sollte also besser draußen beten, dachte sich Martin, unter Zuhilfenahme stärkster Lautsprecheranlagen.

- Kapitel 3-

Dies alles schien die Herbstsonne -ERF1 oder 2 sei Dank- nicht zu stören. Sie zog ihren Lauf gen Horizont mit mathematischer Präzision. Dabei blendete sie immer mehr, aber es gab ja Sonnenbrillen, was die Menschheit keinem der beiden ERFs zu verdanken hatte, sondern einem Mister Ray Bean oder so.

Überhaupt hatte ERF 2 den Menschen eine Menge Werkzeuge mitgegeben um sich die Zeit bis zum Erwachen von ERF 1 erträglich zu halten. Das Spektrum reichte von Kentucky Fried Chicken bis Boeing 747.

Die Religion der 2 ERFs , auch R2E2 genannt, meinte aber diese Dinge würden nur dem bösen ERF2 dienen, und die Menschheit den guten ERF1 vergessen machen. Der radikale Flügel von R2E2 lebte daher konsequenterweise in Höhlen und verbrachte den Herbst sowie auch jede andere Jahreszeit mit gegenseitigem Auspeitschen, Fasten und Beten.

Der gemässigte Flügel hauste in sehr prächtigen Häusern, mit der Begründung, daß das Erheben von hohen Steuern die Leute eher zu Gott, also ERF1, bringt als Brathähnchen zu essen. Sie selber aßen aus Prinzip nur vegetarische Pizza, sagten sie, aber es wurden Reste von Hühnerknochen in ihren Abfällen gefunden. Damit waren sie natürlich unglaubwürdig, aber das störte sie nicht sehr.

Die ganz radikalen ERF 2er waren sehr eindeutig:

Geniesst es solange ihr könnt!

Haut richtig auf die Kacke!

Nehmt alles, was ihr kriegen könnt!

Ein Großteil der Radikalen saß demzufolge auch im Knast. Der gemäßigte Flügel beschränkte sich auf gelegentliches halbherziges Grabschänden, Stinkbombenwerfen und Katzenopfern, und war nicht sehr beliebt.

Martin war so versunken in seine Gedanken, daß er nicht einmal merkte , daß er sich total verlaufen hatte. Sogar in dieser seiner Heimatstadt gab es Ecken, in denen er sich absolut nicht auskannte und wie verloren fühlte. Die Sonne lieferte nur noch Dämmerlicht, als sich etwas sehr Helles aus der entgegegesetzten Richtung näherte.

- Kapitel 4-

Vor Martin befand sich eine Grün-gräulich schimmernde Lichtung, hinter ihm ein Wäldchen. Wo war er hier bloß? Es war unheimlich und roch so merkwürdig angebrannt..

Ein klares scharfes Sirren drang von irgenwoher an sein Ohr. Eine Art Panik überkam Martin, wie er sie noch nie vorher gespürt hatte. Diese Panik war verbunden mit einer merkwürdigen Erwartung, daß sich gerade etwas Unglaubliches abspielte.

Das Raumschiff war kaum zu erkennen, als es sich auf die Lichtung niederließ. Es sah auch nicht wie eins aus, jedenfalls nicht wie in den Martin bekannten Startrek Serien, eher wie eine gerade gebliebene Banane.

Er erstarrte ehrfürchtig.

Es passierte nichts, keinen Tür öffnete sich, kein Geräusch, absolute Windstille.

Dann sah man eine Leuchtschrift an der Vorderseite des Schiffes:

" Ich Bin Erwacht."

Martin ahnte, wer "Ich" war , wagte diesen Gedanken aber nicht zu Ende zu denken.

Die Leuchtschrift änderte sich:

"Komm zu Uns und erstatte Bericht"

Martins Erstarrung löste sich.

Er drehte sich um und rannte einfach los..

Er hatte schliesslich noch Wäsche in der Maschine.

-ENDE-

Copyright Jürgen Behrndt. 1997