Das Schiff
Copyright Jürgen Behrndt. 1992
"Steward!"
Aber er kam nicht mehr.
Die Leute sind nie da, wenn man sie braucht, dachte Heiner, als er wütend die Klingel zum wiederholten Male betätigte.
Dabei hatte er es sich so schön ausgemalt, damals, bevor er...
Die "Lonestar" war so blumig geschildert worden in den Ankündigungen- wo war das noch gewesen? - so nett voll Freude, Sauberkeit und ... Sex!
'Unsere Hostessen stehen jederzeit zu Ihrer Verfügung.'
Pah! Denen war genau dasselbe versprochen worden, 'Unsere Herren lesen Ihnen jeden Wunsch von den Augen ab '. Man hatte offenbar alle reingelegt, aber sie machten halt das beste draus. Freude kam nur dann auf, wenn man eine der teils verpönten teils angepriesenen "Happies" ergattern konnte. Das waren kleine gelblich aussehende und auch irgendwie gelblich schmeckende Pillen mit einer eklatanten, wenn auch nicht nebenwirkungsfreien Effekt aufs Gemüt.
Man fühlte sich einfach groß für ein paar Stunden, wie ein richtiger Held...
Aber das schöne Kabineninnere hatte ihn immer wieder für alles entschädigt. Jeder war angehalten es mitzugestalten, darin waren alle sehr eifrig. Nicht ohne Stolz betrachtet Heiner seinen selbstgeflochtenen Wandteppich, an den er Monate geknüpft hatte.
Natürlich hatte er auf dem Unterdeck schuften müssen, um das Material zu verdienen, aber das machte fast jeder so.
Und wenn man Glück hatte, durfte man nach oben.
Kürzlich aber waren alle Kabinenfenster versiegelt worden, Dafür gab es als Entschädigung eine Extraration Happy.
Die einzigen beiden Gruppen, Die "Queenies" und die "Päpste", die Zweifel an der Qualität diese Luxusliners hatten, stritten sich ständig, und überboten sich mit moralischen Forderungen an ihre weniger werdenden Mitglieder. Und sie wurden nicht mehr ernst genommen, vor allem, weil sie etwas gegen Happies und Sex mit wechselnden Partnern hatten. Das war doch das schönste hier, wer wollte sich das nehmen lassen?
Die "Päpste" beriefen sich auf einen früheren Passagier namens "Theres Land", der mächtig Staub aufgewirbelt hatte, und später vom Personal über Bord geworfen worden war. Er hatte vor langer Zeit an der Kreuzfahrt teilgenommen, und irgendwas von "Leben nach der Ankunft" geredet.
Dabei wußte jedes Kind, daß mit der Ankunft alles aufhörte, und man nicht mehr...
Aber niemand dachte ernsthaft darüber nach. Eigentlich wollte auch niemand ankommen. Die Zeit war begrenzt, und man hatte mit sich und seiner Kabine zu tun. Niemand wußte genau wo es hinging, auch nicht die Sklaven, die unten an den Motoren zu knüppeln hatten.
Draußen waren Haie gesichtet worden, da nahm man doch lieber die Gazette und lullte sich bei einem Gläschen "Doon" vor dem Visiophon ein.
Heute war etwas Wasser durch die Tür gekommen. Er hatte seinen Voiceomat genommen und Erwin angerufen, der jedoch an seiner Matura über "Die Alternative: Wie ich mich mit Kakerlaken anfreundete " schrieb, und nicht gestört werden wollte.
-2-
Es kam immer noch kein Steward.
" Bei mir dasselbe, ich schaue nicht mehr hin, das würde ich dir auch raten", sagte Susi, die Heiner wegen Ihrer Seelsorgerausbildung schätzte.
"Nimm doch eine Reiseversicherung, kann ich Dir billig besorgen". Klaus konnte Eskimos Kühlschränke verkaufen.
Jutta: "Da hat jemand 'nen Scheuereimer verschüttet". Tatsächlich wurde viel geputzt draußen in letzter Zeit.
"Du hättest gleich die 'Superdicht'- Schwellen nehmen sollen, da kam doch neulich einer rum!" Sie hatte wohl recht, damit brauchte man sich um nichts mehr zu kümmern.
Um nichts mehr kümmern!?
Das war auch die Devise des letzten "Fun" Events gewesen, der immer am ersten Augustsamstag unten im großen Festsaal stattfand. Man wurde feierlich abgeholt und mit verbundenen Augen hingeführt. Es war sehr erhebend und mysteriös, keiner sollte wissen, wo es genau sei. Da gab es jede Menge "Doon" umsonst, und eine Stripteaseshow vom Feinsten.
Die Band "Zombies" spielte Ihren Hit.
Die Leute brüllten den Refrain mit:
" Don't care for nothin, it's all right"
" If not it'l be over soon"
Zwischendurch gab es Werbeeinlagen: " Kaufen Sie Blümchen-Tapete, und sie werden alles andere vergessen"
Mit seinem mageren Einkommen von 5 SeK's wöchentlich konnte er sich die bestimmt nie
leisten, aber es war ein lohnenswertes Ziel, für das man leben konnte.
In letzter Zeit quälte Heiner ein wiederkehrender Alptraum
"Ich sehe, daß wir ankommen, ganz deutlich Land und dort springen Gestalten in feuerroten oder blauen Kostümen herum, planlos mit merkwürdigen Feuerwaffen in der Hand herumballernd. Ich werde über Bord geworfen, schreie immer 'nein, nein laßt mich hier', doch alle die an Bord sind, schauen gleichgültig. Einer sagt 'Der hat's überstanden'. Bevor ich ihn fragen kann, was, versinke ich. Jetzt sehe ich die Gestalten an Land deutlicher, während ich wie wild rudere und schreie. Manche kommen mir bekannt vor, doch je näher ich ans Land komme, desto verschwommener wird alles, ich habe furchtbare Schmerzen überall.
Dann bin ich plötzlich an Land, aber der Boden ist brennend heiß, ich habe auch ein rotes Kostüm an, und fange an herumzuspringen, aber sonst spüre ich nichts mehr, es ist irgendwie angenehm und furchtbar zugleich. Dann schießt einer der Blauen auf mich und schreit 'Ich bin eher dran'. Ich stürze metertief und erwache schweißgebadet" "Hört sich nach leichter psychischer Inkalibrenz an, das haben viele in letzter Zeit, liegt wohl am Sturm!" Susi reichte mir ein Tablettenröhrchen: " Das ist 'Egalen', damit kommst du drüber weg, bestimmt! Gib mir irgendwann 2 SeK dafür"
-3-
Irgendwas stimmte nicht mit ihm. In letzter Zeit hatte er sich tatsächlich gefragt, wie er eigentlich hierhergekommen ist. Er sprach mit keinem darüber, jeder würde ihn für bekloppt halte, soviel stand fest.
Seine BEGLEITER, wie man sie nannte, 2 ältere Mitreisende, die einem am Anfang alles erklären sollten, damit man zurechtfand, waren ordentliche Leute. Immer wieder hatten sie ihm die Schönheit der Kabine zu zeigen versucht, und die Notwendigkeit der nächtlichen Verriegelung nahegebracht.
Ein ungeschriebenes Gesetz der "Lonestar" verbot Fragen nach Abfahrt, Ankunft, Bestimmungsort und Zweck der Fahrt. Es gab viele solcher ungeschriebenen Gesetze an Bord, wie "Wünsche nie an Deck zu gehen" usw.
Die "Queenies" hatten ihre eigenen Theorien, die aber nur gesungen weitergegeben werden durften oder in verschlüsselter Miniaturschrift auf Briefmarken, und die deshalb kaum einer verstand.
In letzter Zeit fanden auch die "Forevers" begrenzten Zulauf, Heiner traute ihnen nicht. Die Visio-News hatten ihnen SeK-Hinterziehung vorgeworfen, und was die sagten, stimmte immer.
Er hörte, man könne dort besser schwimmen lernen und evtl. "Rudern", aber was dieses Wort bedeutete, wußte er nicht.
Als er wieder an Susi's Worte dachte, ruckte das Schiff zum wiederholten Male unregelmäßig, verbunden mit einem merkwürdigen entfernten Plätschern. Das war jetzt öfter zu hören gewesen, aber wurde nicht viel beachtet.
Die Verriegelung war auf 24 Stunden ausgedehnt worden.
Die Schiffsbesatzung, aus lauter merkwürdig kühlen aber kompetent anmutenden Leuten bestehend, die man aber selten zu Gesicht bekam, ließ per "Visio-Report" bekanntgeben, es handle sich um harmlose Wellengänge. Man werde ggf. den Kurs ändern, aber das wäre eigentlich nicht nötig, und wurde nur von Panikmachern propagiert. Den meisten war es sowieso egal, wohin man fuhr, wenn man nur fuhr!
Die "Päpste" beschworen den baldigen Untergang des Schiffes, aber das führte nur zu weiteren
Austritten, weil sie das nach dem letzten "Fun"-Event auch gesagt hatten, und man fuhr ja
offensichtlich noch!
"Wozu schwimmen?" hatte Heiner seinen Kumpel Ralf gefragt, der mit den Forevers
sympathisierte, " Der Swimmingpool des Schiffes ist flach, man braucht nicht schwimmen zu
können. Was hier fehlt, ist nur guter Tapetenkleister und deutlichere Voicomaten, und zwar für
alle, auch die unteren Sektionen, aber sonst fehlt eigentlich nichts, wozu also soll man in 3
Käpten's Namen schwimmen lernen?"
"Weil wir sinken "
Ende