Der Ara in der Mädchensauna

Copyright Jürgen Behrndt. 1995

Neulich fuhr ich mit einem dieser doch recht flotten ICE- Trains durch einen Ort namens Letter , und dachte noch so bei mir: Wenn wohl ein Engländer durch diesen Ort führe, er würde zu seiner Frau sagen :"Oh Darling , We are driving through a letter!"

Genauso, als wenn ich in Frankreich durch einen Ort namens "Brief" führe.

Aber was würde wohl die Frau des Engländers sagen, wenn sie durch "Worms" fahren?

Jedenfalls würde sie wahrscheinlich wohl nicht aussteigen.

In jenem Ort, oder etwa 160 Sekunden oder 10 km dahinter fiel ich in einen Traum:

Kapitel 1:

- Stephan-

Stephan S. hat ein Problem und geht zum Arzt:

" Herr Doktor , ich möchte nicht mehr Stephan S. Sein"

" Warum nicht?"

" Ach wissen Sie, es ist mir irgendwie über, ich komme nicht weiter , ich will einfach nicht mehr Stephan sein, es ist mir so fremd"

" Wer möchten Sie denn sein?"

" Ja wissen Sie..."

" Geschlechtsumwandlungen sind heute kein Problem mehr" dozierte der Doc.

" Wir bauen hier was an , nehmen hier etwas weg, Sehen Sie.." Er griff nach einem Bildband aus dem Regal.

Stephan winkte müde ab.

Stephan war eine stattliche Erscheinung, vielleicht anfang 30, durchschnittlich groß , durchschnittlich intelligent und mittelmäßig erfolgreich. Er hatte äußerlich keinen Grund unzufrieden zu sein, aber innen drin , so merkte jeder, der ihn besser kannte als der Kioskbesitzer an der Ecke, innendrin arbeitete es ständig in ihm.

" Ich will ganz was anderes sein, nämlich ein großer Vogel, ein Ara!"

Bei diesen Worten sah man plötzlich ein Leuchten in Stephans Augen, was man bei ihm selten sah, eigentlich fast nie. Er wirkte sonst eher resigniert , fast gleichgültig dem Leben gegenüber.

Der Doktor griff erneut zu einem Bildband, diesmal aber einem anderen, sehr grossem, bunt bebildertem.

" Meinen Sie so etwas?"

Stephan braucht nichtmal hinzuschauen, er kannte dies Bild, er hatte denselben Band, O wie oft schon gewälzt und durchgeblättert, nachts, morgens in der Kaffeepause, heimlich versteht sich.

Heimlich, denn niemand durfte auch nur ahnen, was in seinem Innersten vorging, nein niemand, nicht mal seine engsten Verwandten und Freunde, das ging wirklich keinen was an.

" Können Sie es sich überhaupt vorstellen wie es ist ein Vogel zu sein?"

Stephan machte das Gesicht eines in der Brunft befindlichen Ara´s . Das gelang ihm erstaunlich gut . Dann legte er die Arme wie zum Flug startend an.

Der Doktor, vertraut im Umgang mit solcherlei Individuen, hielt ihn fest.

" Nun heben Sie nicht gleich ab!"

Stephan hielt wie aus einem schönen Traum gerissen verdutzt inne und brach in heftige Tränen aus.

" Es wäre so schön, ich könnte endlich fliegen..."

Der Doktor beruhigte ihn:" Man kann tatsächlich heute schon mittels moderner chirurgischer Techniken eine Menge bewirken, aber..."

Stephan sprang auf. "Es ist also möglich ?"

Er kriegte sich nicht mehr ein vor Freude, nahm den Doc bei den Schultern, schüttelte ihn wie eine Sektflasche, hopste auf und ab und weinte, jetzt aber vor Erleichterung.

Der Doktor, der schon viel erlebt hatte, wand sich heraus:

" Aber so einfach und schnell wie sie vielleicht hoffen geht das auch wieder nicht."

" Was muß ich tun, ich würde alles in Kauf nehmen!" seufzte Stephan.

"Wirklich alles ?"

" Jaa..." Ein tiefes verlangendes Geräusch entrang sich seiner Kehle, wie es wohl nur ein von Sehnsucht und Anticipation erfüllter Homo erectus in Erwartung der bevorstehenden Transformation in ein höheres Wesen ausstoßen konnte.

" Also Sie müssen zuerst für einige Zeit Ihre eigene Identität aufgeben und in der eines Ara´s leben.

Das würde Ihnen alle Vor- und Nachteile der gewünschten ..." , ihm fiel das Wort nicht sofort ein, denn in Anbetracht der Situation war auch er etwas aufgeregt, " Veränderung vor Augen halten, ohne daß es gleich zu endgültig für Sie ist"

"Was heißt das konkret?" erwiderte Stephan etwas ernüchtert aber immer noch voller Jubel im Herzen.

"Nun sie müßten eben alles aufgeben, was mit Ihrer alten Natur verbunden ist, soweit es möglich ist"

"Und das wäre?"

" Z. B. ihr Türschild , eigentlich Ihre ganze Wohnung, wenn Sie wirklich konsequent sein wollen, Ihr Auto, kein Schriftverkehr mit den Eltern, nur noch das zu sich nehmen, was ein Ara eben so zu sich nimmt. Was das ist, werden Sie ja wissen, Sie haben sich bestimmt schon ausgiebig mit der Biologie eines grossen frei lebenden Vogels auseinandergesetzt, oder ?"

Stephan nickte heftig mit dem - noch menschlichen- Kopf.

" So, und dann müssen Sie natürlich lernen auf Bäumen zu schlafen, auch im Winter, und Eier legen."

"Wie..."

"Sie haben es so gewollt, also lassen Sie sich was einfallen.

Für den Anfang würde evtl. auch ein Käfig als Heim ausreichen, wenn Ihnen das Leben im freien zu riskant ist. Sie haben dann auch natürliche Feinde, ist Ihnen das eigentlich klar?"

" Ja schon, aber..."

" Also überstürzen Sie nichts, und denken Sie nochmal darüber nach, wenn Ihnen das nächste Mal ein Iltis über den Weg läuft!"

Stephan stand kommentarlos auf und ging schell aber auch nachdenklich zur Tür.

Draußen stieg er in sein Auto und fuhr zum Zoo.

Dort blieb er offenbar nicht lange , und abends wurde er dann bei "Chez Mimi" gesehen in den Armen einer Blondine liegend und anscheinend bester Laune.

Da verlor sich seine Spur endgültig.

Kapitel 2

- Manuela-

Wissen sie, Manuela war eine Bekannte von uns, keine besondere Schönheit, aber sympathisch im Auftreten, etwas schüchtern zwar, aber ein Kumpel, wenn es um Gefälligkeiten ging, ewig pleite, aber wer ist das nicht heutzutage.

Manuela hatte nur einen Wunsch. Sie wollte das "a" am Ende ihres Vornamens loswerden, und wie ein Mann leben; Sie wollte Manuel werden!

Sie hatte auf uns noch nie besonders weiblich gewirkt, wollte das auch gar nicht, lief eher wie ein Typ rum, der vergessen hatte sich zu rasieren. Trotz ihres Alters konnte man manchmal annehmen, und das machte sie sogar irgendwie liebenswürdig, sie sei ein gerade in der Pubertät befindlicher Spund im 2. Lehrjahr als KFZ Schlosser.

Wir mochten Manuela alle gern, und versuchten ihr dieses Umwandlungsansinnen auszureden, zumal die Absicht dahinter zumindest naiv, wenn nicht sogar leichtfertig erschien. Michael, der sie länger kannte als ich, wußte sogar zu berichten, daß sie sich zu Frauen mehr als zu Männern hingezogen fühlte, was ja auch irgendwie logisch war. Wohl dachte sie, daß sie durch das wegmachen des "a" einen besseren Schlag beim anderen - oder sollte man besser sagen eigenen ?- Geschlecht haben würde.

Wir sprachen viel über ihre Problematik aus unserer zugegeben männlich gefärbten Sicht.

Wie kommt es, daß jemand einfach mit seinem Körper, mit dessen Geschlecht nicht übereinstimmt? Der feststellt, und das sehr früh im Leben, daß irgendwas fehlt, etwas zuviel ist, eben alles nicht so wie man es sich vorgestellt hatte.

Wie wenn Du zum Autokauf gehst. Und Du willst einen Mercedes haben, egal welchen , am besten einen guten, der schnell ist und komfortabel. Und Du hast das Geld, und Du hast es Dir ehrlich verdient. Einen Mercedes in dem man sich einfach wohl fühlt. In dem du Dich einfach wohlfühlen wirst. Den willst Du, der ist OK, bezahlbar und Dir angemessen. Verbraucht nicht zuviel und nicht zuwenig. Sieht gut aus und besticht durch Schönheit und Stärke. Und Du näherst Dich ihm, dem Objekt der Begierde mit Vorfreude und dem entschlossen Blick des Besitzen-Wollens. Du bist wirklich festentschlossen, diesen Wagen zu besitzen, ihn zu pflegen und zu liebkosen. Der wird Dich glücklich machen, jaa ...

Aber dann geschieht irgend etwas, was nicht eingeplant war, etwas überraschendes.

Der Verkäufer, oder Hersteller oder vielleich der Agent einer anderen Marke, sagen wir BMW nähert sich Dir und sieht Deinen begierlichen Blick. Und er weiß Du willst fahren, Und er weiß er kann es nutzen. Und er will Dich! Er will Dich haben und gewinnen. Und er weiß Dich zu überzeugen, daß der BMW besser für Dich sei! Du bist verwirrt, denn Du warst ja so fest von dem anderen, wie hieß er noch, überzeugt. Dann macht der Agent irgend etwas, er wedelt mit dem Arm oder lächelt Dich an, oder ist einfach nur nett.

Du bist hypnotisiert und zweifelst an Dir und an Deinem Willen. Du bist wie betäubt von den Augen des Agenten, von seiner Ausstrahlung und Überzeugungskraft Du bist verwirrt und unsicher, Und Du fällst in einen tiefen Schlaf der Erleichterung, der Hingabe und der Erlösung.

Und wachst in dem BMW auf und hast alles vergessen.

Und Du weißt, etwas stimmt nicht, aber Du hast das Umtauschrecht verloren. Du weißt nicht einmal wo Du Dies Ding herhast.

Und Du versuchst ihn so gut zu fahren, wie Du kannst. Und Du weinst innerlich, denn Du sitzt im falschen Wagen, den Du nicht willst, nie wolltest.

- ENDE ?-